Rezension von Carsten Ondreka zum Buch "Drei Schwestern"
Kaiserslautern von unten – Christian Barons „Drei Schwestern“
Kaiserslautern in den frühen achtziger Jahren. Wer kennt sie nicht, die Geschichten über das „Waschbrett“, das Kneipenbermuda im Musikerviertel mit „Smile“, „Glocke“, „Thing“ und Co. Die Jugendzentrumsbewegung der damaligen Zeit, die unrühmlich mit dem erst als provisorisch gekennzeichneten Juz in der Steinstraße endete. Teilweise gar mythisch verklärte Zeiten der damaligen Subkultur, von denen Opa und Oma oder auch Eltern heute gerne erzählen, wenn es um ihre Jugend und die Erlebniswelt der heute ungefähr 60jährigen geht.
Christian Barons neues Buch „Drei Schwestern“ erzählt aus dieser Zeit. Aber die Orte sind meist andere. Es ist eine Geschichte von unten. Von den zwei Schwestern Juli und Mira, die in den Blocks der Berliner Straße groß werden, und einem Umfeld, das sich kaum in die studentischen und stärker bürgerlich geprägten Milieus der Kaiserslauterer Subkultur verirrt. Das damals neu eröffnete „Flash“ taucht noch auf, das legendäre Konzert im Fritz Walter Stadion mit Jefferson Starship, Fischer Z und Bob Marley & the Wailers und natürlich der große Gleichmacher FCK. Das war es dann aber auch mit den Gemeinsamkeiten.
So ist dieses Buch nicht nur eines, was von den durch Armut, miese Jobs, Alkoholdunst und Zigarettenrauch geschwängerten Wohnungen und Kneipen der unteren Klassen erzählt, sondern auch eines, das stark durch Scham geprägt ist. Wenn es zum Beispiel darum geht, in der Schule wegen seiner Klassenherkunft von Lehrkräften und Mitschülern schlecht behandelt zu werden oder darum, nicht mitreden zu können darüber, was in der Zeitung steht oder auf einer Speisekarte. Offensichtlichstes Beispiel ist die ältere Schwester Ella, die dritte im Bunde. Diese hat in bessere bürgerliche Verhältnisse eingeheiratet und balanciert beständig dazwischen, ihren Schwestern etwas von diesem anderen Leben zu vermitteln und sich ihrer Familie und ihrer Herkunft bis zur Selbstverleugnung zu schämen. Es tut weh, so etwas zu lesen, so nachvollziehbar und schonungslos wie Christian Baron das erzählt.
Mira ist trotz ihrer Herkunft und dank ihrer kommunistischen Oma, die schon beeindruckende Auftritte im Vorgängerbuch „Schön ist die Nacht“ hatte, interessiert und belesen, schreibt selbst Gedichte und Tagebuch. Sie schaut über den Horizont hinaus und entflieht zeitweise nach Berlin. Jenes dreckige, kaputte, hyperkreative und hochpolitisierte Berlin-Kreuzberg der frühen achtziger Jahre, das von Teilen der Linken heute gern als Background für manche Heldensaga mystifiziert wird. Sie geht dort eine lesbische Beziehung ein, kann einiges genießen, ist auf der anderen Seite aber durch eine Szene abgeschreckt, die es sich dank bessergestellter Eltern leisten kann, herumzupolitisieren und das subkulturelle Leben dieser Tage auszukosten. Sie zelebrieren ein Auftreten und Wohnen als Lifestyle, das Mira an die Berliner Straße in Kaiserslautern erinnert. Einen Umgang und Verhaltensweisen, die sie aus ihrer Herkunft heraus nicht versteht. Sie dagegen arbeitet lieber in miesesten Jobs, als sich Stütze vom Amt zu holen, obwohl das damals sehr viel einfach war als heutzutage. Auch hier versteht es Christian Baron, dies wenig plakativ, aber durchdringlich nachzuzeichnen.
Mira wird dann aber durch ihre Familie und ihren späteren Mann Ottes (genau der!), der in dieser Szenerie als liebevoller offener und lebensfreudiger Mensch auftaucht, herausgeholt. Ihre Vorstellung von Leben war das in Berlin Erlebte zwar auch nicht, aber wer die weitere Geschichte kennt, dem wäre eine andere Wendung an diesem Punkt lieber gewesen.
Nichtsdestotrotz: Das Figurenkabinett dieser Klasse besticht, trotz aller Widersprüche, Grobheiten und gegenseitigen Verletzungen, durch seine Menschlichkeit - im Gegensatz zu den manchmal grotesken Kontakten mit dem Bürgertum, ob dies nun Ellas Freundinnen, sozialdemokratische Tourist*innen oder Besucher*innen des Pfalztheaters sind. Hier springt die Schwestern der gelebte Standesdünkel derjenigen an, die sich für etwas Besseres halten. Obwohl Christian Baron mit Sicherheit auch seinen Bourdieu gelesen hat, braucht er keine Worte über kulturelles Kapital und Habitus zu verlieren. Er kennt die feinen Unterschiede aus eigener Anschauung und weiß hervorragend darüber zu schreiben.
Von daher ist dieses Buch politischer als die beiden ersten Teile der Trilogie, und es wird zum Drama, wenn man „Ein Mann seiner Klasse“ gelesen hat und weiß, was in den Jahren danach aus Mira wird. Das einzig Tröstliche, aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist, dass es Mira und Ottes zu verdanken ist, dass es Christian Baron gibt.
Carsten Ondreka, 06.10.2025

